Johannes
Vom Überleben zum Leben gekommen
Im Juli 2013 wurde ich in der Weißen-Villa aufgenommen. Ich kam aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie, wo ich meinen Realschulabschluss gemacht hatte.
Im Kindesalter bin ich mit meiner Mutter oft umgezogen. Die Beziehung zu ihr war schon immer schwierig. In der 7. Klasse war meine Hochphase der Schulverweigerung. Ich hatte eine depressive Phase, war entweder im Bett oder vor dem PC. Außerdem spielte Mobbing eine Rolle (5. – 7. Klasse): ich wurde gemobbt und habe gemobbt. Ich kam in der 7. Klasse in die Kinder- und Jugendpsychiatrie, weil mir alles egal geworden war und ich mich komplett isoliert hatte. Wie eine Erdnuss, wenn die trockene Hülle immer größer wird und die Erdnuss wächst nicht mehr weiter.
In der 8. Klasse kam ich ins Internat in Ansbach. Ich habe die ganze Zeit gekifft und bin weiter zur Schule gegangen, hatte aber auch öfters keinen Bock. Mir ging es in dieser Zeit ganz gut und ich konnte meine kindliche Seite mehr herauslassen. Ich bin wieder mehr mit Menschen in Kontakt getreten. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie hatte ich zum ersten Mal gekifft und im Internat dann regelmäßig mit den anderen zusammen. Schulisch hatte ich fast Hauptschulniveau und habe dann später trotzdem meinen Realschulabschluss in der Psychiatrie geschafft.
Besonders mit einer Lehrerin, meiner Religionslehrerin, habe ich viel diskutiert und sie provoziert. Einmal war sie davon so getroffen, dass sie den Unterricht nicht fortsetzen konnte. Während der Internatszeit habe ich mich viel treiben lassen und bin dann in die Weiße-Villa gekommen. Was mir beim Kennenlerngespräch gut gefallen hat, waren die Menschen hier, z. B. das Gespräch mit Hr. Spamer.
In der ersten Woche in der Weißen-Villa bin ich zwischen die Fronten von Corinna und Maya gekommen. Mehrere Jungs waren sehr neugierig auf mich und fragten, ob ich der neue homosexuelle Jugendliche bin (Verwechslung). Außerdem habe ich in der ersten Zeit auf Selbstständigkeit gesetzt. Ich habe die 11. Klasse OKS (Wirtschaft) begonnen und bin jeden Tag zum Praktikum gelaufen. Mein erster Bezugspädagoge war Hr. Kurt-Spamer. Ich habe die erste Zeit in der Weißen-Villa gebraucht, um mich neu zu strukturieren und ohne Kiffen zu leben. Direkt nach den Sommerferien habe ich mit dem Kiffen aufgehört. Ich bin konsequent gewesen.
Dann bin ich aber relativ schnell in die Büchtingenstraße umgezogen, nach ca. 3 Monaten und habe dort für ca. 1,5 Jahre gelebt. Ich habe von Anfang an alles so in die Bahnen gelenkt, wie es für mich gepasst hat. Ich kann gut in der Masse verschwinden und habe mich viel versteckt, bis ich in die Büchtingenstraße umgezogen bin. In der kleineren Gruppe ging das nicht mehr so gut. Dort ist vermehrt mein nonkonformer Humor aufgefallen, der von anderen schwer zu verstehen war und den die Leute oft persönlich genommen haben. In der folgenden Zeit habe ich daran gearbeitet, meinen Humor verständlicher und harmloser zu gestalten, über die Rückmeldungen der anderen Jugendlichen und Mitarbeiter.
Die Schule und das Praktikum habe ich gut durchgezogen. Mein Praktikum in der Bibliothek der Hochschule Harz hat mir gut gefallen und ich hatte viel Kontakt zu den Studenten. Dort habe ich auch meine damalige Freundin kennengelernt. Wir sind fast 2 Jahre zusammen gewesen. Damit habe ich meinem Leben eine emotionale Komponente hinzugefügt. Meine damalige Freundin hat mir dabei geholfen, einen besseren Zugang zu meinen Gefühlen zu finden.
Die 11. Klasse der OKS war im Verwaltungsbereich sehr mathelastig und das hat mich nicht so interessiert. Ich konnte meine eigenen Anforderungen an meine schulischen Leistungen nicht erfüllen und da ich schon vorher lieber den Bereich Gesundheit und Soziales gewählt hätte, habe ich mich dazu entschieden, dieses Jahr zu wiederholen. Ich hatte 3 Praktika zu absolvieren, in der Harz-Apotheke, im Krankenhaus und in der Ergotherapie, was mir sehr viel Spaß gemacht hat, aufgrund der lustigen Kollegen. Auch die Arbeit mit den Kindern hat mir Freude gemacht. Während des Praktikums in der Ergotherapie konnte ich länger schlafen, was mir sehr entgegenkam, da ich fast während der gesamten Zeit große Schwierigkeiten hatte, einzuschlafen.
Während der Zeit in der Büchtingenstraße hatte ich viele lustige Situationen mit den Betreuern. Die Gruppe fand ich gut und ich habe mich dort wohlgefühlt. Meine Freiheiten waren mir sehr wichtig, z. B., dass ich mich nachts oft in den Garten begeben habe, um noch eine Zigarette zu rauchen, wenn ich nicht schlafen konnte.
Ich habe mir im letzten Sommer schon das Ziel gesetzt, umzuziehen, was nicht zustande kam. Die Sommerferien waren aus meiner Sicht so schön wie noch nie, da ich spontan viele Ausflüge gemacht habe. Das hat mir ein Gefühl von Freiheit gegeben und ich hatte viele unterschiedliche Begegnungen. Nach den Sommerferien hatte ich große Schwierigkeiten, mich in die Strukturen zurückzufinden und mit den strukturellen Veränderungen klarzukommen. Besonders schwierig war es für mich, dass ich in dieser Zeit wieder mein Handy nachts abgeben musste und dadurch meine neu aufgebauten emotionalen Beziehungen aus meiner Sicht nicht ausreichend pflegen konnte. Ich war während dieser Zeit sehr verletzlich, da ich meine Gefühle zum ersten Mal wieder aufnehmen und aufbauen konnte. Ich hatte auch viele Ängste, dass ich z. B. für meine damalige Freundin nicht da sein konnte, falls sie nachts meine Hilfe gebraucht hätte.
Ich habe viel zu meinem Muster 5 erarbeitet. Zu Beginn meiner Zeit in der Einrichtung war ich unsicher, zu welchem Muster ich gehöre. Muster 7 war zuerst die Vermutung, dann habe ich mich beim Muster 9 mehr gefunden und bin nun letztendlich beim Muster 5 angelangt. Ich finde, dass ich nicht die offensichtlichen Merkmale vom Muster 5 habe. Anfangs existierte Angst für mich nicht, da ich sie nicht spüren konnte. Im Verlaufe meiner persönlichen Entwicklung spürte ich meinen emotionalen Druck und Stress, was sich in Teilen später als Angst herausstellte. Letztendlich ist es mir nun möglich geworden, meine Angst wahrzunehmen, mich damit auseinanderzusetzen und sie für mich zu nutzen.
In der 12. Klasse hat es dann angefangen, dass ich oft montags (nach Heimfahrt) nicht zur Schule gehen konnte, weil ich jetzt kein Praktikum mehr hatte, sondern 5 Tage Schule und mich an den Heimfahrtwochenenden häufig verausgabt habe. Ich habe mich viel mit Leuten getroffen, getrunken und war die ganze Zeit unterwegs, teils zur Flucht vor dem Alltag und teils auf der Suche nach Neuem und Altem Ich habe oft wenig geschlafen.
Ende November 2015 bin ich von der Büchtingenstraße in die Ringstraße umgezogen. Ich wäre gern in der Büchtingenstraße geblieben, habe es aber als neue Chance gesehen, die ich auch wahrnehmen wollte. Anfangs war ich vermehrt im Büro, um mich ins neue Leben einzuleben. Nach und nach habe ich Menschen gefunden, mit denen ich tiefgründige Begegnungen hatte, die mir gut taten. Ich konnte mich in den Gruppensequenzen immer mehr zeigen und habe weniger Informationen vorenthalten. Ich habe schöne Beziehungen aufgebaut, die ich auch weiter pflegen werde, nach meiner Zeit in der Weißen Villa.
Mit meinen schulischen Leistungen war ich insgesamt zufrieden, aber ich hätte mehr lernen können, um einen besseren Durchschnitt zu bekommen. Die Abschlussprüfungen habe ich gut gemeistert, auch die Präsentation meiner Facharbeit.
Ich habe aus dieser Zeit viele Erfahrungen aus Begegnungen mitgenommen und fühle mich in der Lage, mein Leben selbst zu gestalten und bin optimistisch. Meine Ziele sind fürs erste: Freundeskreis aufbauen, Jobsuche und Wohnungssuche sowie nicht abzurutschen. Außerdem möchte ich mir Strukturen erarbeiten und einen für mich förderlichen Alltag schaffen. Mein berufliches Ziel ist es, später in der Drogenberatung zu arbeiten.